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Queer-/feministische Kämpfe in Polen: Redebeitrag von Cioca Frania am 8.März

Wir veröffnetlichen hier einen Redebeitrag von der Gruppe Cioca Frania, die diesen Redebeitrag am 8.März auf unserer Kundgebung hielt.

Hallo wir sind von der neu gegründeten Gruppe Cioca Frania (zu deutsch
etwa: Tante Franzi).

Wir haben uns als Reaktion auf die Proteste, die seit Oktober 2020 in
Polen stattfinden gegründet. Unser Hauptfokus ist es, Schwangere aus
Polen bei Schwangerschaftsabbrüchen zu unterstützen.

Dabei sind wir nicht allein. Es gibt inzwischen ein Tanten-Netzwerk aus
5 Tantengruppen außerhalb Polens, angefangen hat alles mit Ciocia Basia
in Berlin, die ihre Arbeit jetzt schon gut 5 Jahre machen. Und auch ihr
könnt unterstützen, mit Geld oder solidarischen Handlungen. Sprecht uns
dazu gern an.

Aber werfen wir einen Blick auf die Situation in Polen:
Bereits 1993 wurde das Recht auf Schwangerschaftsabbruch im Rahmen des
sogenannten „Kompromisses“ bis auf wenige Ausnahmen abgeschafft. Allein
der Begriff „Kompromiss“ war schon damals eine Zumutung: es war ein
Kompromiss zwischen der fundamentalischen Position der Kirche und
konservativen Politiker*innen. Dabei wurden viele Millionen Stimmen, die
sich für die Beibehaltung des liberalen Rechts eingesetzt haben, einfach
ignoriert. 1998 wurde zusätzlich das Recht auf Schwangerschaftsabbruch
aus sozioökonomischen Gründen gestrichen.

Im Oktober letzten Jahres wurde Abtreibung aufgrund tödlicher oder
unheilbarer Fehlbildungen des Fötus für verfassungswidrig erklärt. Somit
darf nur noch abgetrieben werden, wenn das Leben der Schwangeren in
Gefahr ist oder der Schwangerschaft eine Straftat zugrunde lag. Das
Recht, einen Schwangerschaftsabbruch legal vorzunehmen wurde somit real
gesehen endgültig abgeschafft, da ca. 98% der noch offiziell
stattfindenden Abtreibungen aus dem nun verbotenen Grund durchgeführt
wurden.

In erschreckender Kontinuität verschieben religiöse
Fundamentalist*innen die Grenzen immer weiter, um Reproduktionsrechte
einzuschränken.

Aber es wäre zu einfach, das alles nur auf Fundis zu schieben. Die sind
nicht vom heiteren Himmel gefallen.

Die Grundlage für solche Grenzverschiebungen ist eine Gesellschaft, die
ihren Sexismus und ihre Rollenverteilungen so sehr internalisiert hat,
dass es für den größeren Teil selbstverständlich ist, dass Frauen* die
Mutterrolle als Lebensziel und -inhalt zusteht. Eine Rolle, für die auch
mal ein bisschen körperliches und seelisches Leid in Kauf genommen
werden muss. Die ungewollt Schwangere für ihren Wunsch nach
Selbstbestimmung verurteilt und stigmatisiert. Die Ärzt*innen
hervorbringt, die aus sogenannten Gewissensgründen Untersuchungen und
Behandlung, wie z.B. die Pille danach, ablehnen.

Es braucht eine Kirche, die so sehr in den Staat eingebettet ist, dass
keine offizielle Veranstaltung, kein Wahlkampf, keine Eröffnung eines
verdammten neuen Autobahnabschnittes ohne priesterliche Anwesenheit
möglich scheint. Es wundert nicht, dass der Staat den
Religionsunterricht an Schulen finanziert, während sexuelle Aufklärung
dämonisiert, oder bestenfalls auf das patriarchale Familienmodell
beschränkt wird.

Schließlich braucht es zynische Politiker*innen, die alles für ihren
Machterhalt tun würden. Dieser Machterhalt scheint in einer weitesgehend
konservativen politischen Landschaft nur mit der Unterstützung der
Kirche möglich zu sein. Und diese fordert den Schutz des sogenannten
ungeborenen Lebens. Daraus resultiert eine widerliche Gesetzgebung, die
Schwangere um jeden Preis zwingt, ihre Schwangerschaft auszutragen um
sie nach der Geburt mit ihrem Problem alleine zu lassen. Es ist eine
Politik, die ernsthaft darüber nachdenkt, Einrichtungen zu schaffen, in
denen Schwangere den tödlich geschädigten und nicht überlebensfähigen
Fötus in sich wachsen lassen können, bis er von selbst herauskommt.
Zumindest soll dort ein ruhiges Kämmerlein angeboten werden, in dem die
Frauen* danach ein bisschen weinen können.

Auf all das hatten Menschen in Polen im Oktober 2020 keinen Bock mehr.
Es folgten landesweite Proteste, die in ihrer Größe und Intensität
unglaublich schienen. Menschen von jung bis alt gingen sogar in der
tiefsten Provinz auf die Straße. Zum ersten Mal seit fast 20 Jahren
waren Risse in das Monolit diesen sogenannten „Kompromisses“ zu sehen.

Es ist zu früh um zu sagen, wie nachhaltig die Veränderung ist. Die
Proteste sind nach einem halben Jahr in ihrer Weite abgeflaut, die
Debatte fokussiert sich wieder auf „realistische“ Forderungen, alte
weiße Männer sind als Kommentatoren der politischen Wirklichkeit wieder
an ihren Platz zurückgekehrt. Es wird gönnerhaft die Erarbeitung eines
„vernünftigen“ Kompromisses diskutiert. Vorschläge, der Etablierung
eines dem deutschen ähnlichen Modells spalten die größte
Oppositionspartei.

Es ist noch ein langer Weg zu gehen, aber es gibt Hoffnung: noch nie war
unter den jungen Menschen die Ablehnung gegenüber der Kirche und die
Unterstützung linker Ideale so groß. Es ist vielleicht nur eine Frage
der Zeit, bis Veränderung möglich ist. Bis dahin sind wir als Ciocia
Frania und auch alle andere Gruppen aus dem Tanten-Netzwerk da, um
Schwangere in Not zu unterstützen.

Schließlich sei auch noch eine Sache gesagt. Es ist einfach, betroffen
nach Polen zu schauen und das alles ganz schlimm zu finden. Aber auch
hier in Deutschland gibt es Fundis und alte Säcke, die Frauen* ihre
Entscheidungsfreiheit nehmen wollen. Auch hier gibt es trotz aller
Fortschritte noch klare Vorstellungen von „Mann“ und „Frau“ sein. Auch
hier gibt es einen antifeministischen Backlash. Und auch hier ist
Abtreibung nicht legal, die Strafe wird gnädigerweise ausgesetzt.

Nichts ist gegeben, alles muss verteidigt und erkämpft werden. Wir sind
da, um euch dabei zu unterstützen. Wir führen diesen Kampf mit euch,
niemand soll den Weg zur körperlichen Selbstbestimmung allein gehen
müssen.
Für das Recht auf Abbruch, gegen religiösen Terror, weg mit 218 StGB!